HS 37123:
Rechtschreiben in der Sek.I
Dozent: Herr Schübel
WS 1995/96
Schriftliche Hausarbeit:
Das silbische Prinzip
bei Peter Eisenberg in linguistischer und didaktischer Perspektive
Martin Beesk
Bouchéstr. 52
12059 Berlin
Fon: 030/6879113
Matr.-Nr.: 3166329
1. Einleitung......................................................3
2. Grundsätzliches zur Rolle
der Silbe im Rahmen
des silbischen Prinzips............................................4
3. Didaktische Vorüberlegungen.....................................5
4. Grundzüge der Eisenbergschen Grafematik.........................7
5.1. Einführendes..................................................8
5.2. Das silbische Prinzip als
Basis fonologischer
und morfologischer Regeln.........................................10
5.2.1. Schreibungen nach dem fonografischen Prinzip...............10
5.2.1.1. Linguistische Beschreibung...............................10
5.2.1.2. Relevanz für die Praxis..................................11
5.2.1.3. Kommentar................................................12
5.2.2. Schreibungen nach dem silbischen und morfo-
logischen Prinzip.................................................14
5.2.2.1. Linguistische Beschreibung...............................14
a) Schreibungen nach dem silbischen Prinzip....................14
b) Schreibungen nach dem morfologischen Prinzip................15
5.2.2.2. Relevanz für die Praxis..................................17
5.2.2.3. Kommentar................................................18
6. Ergebnis.......................................................25
7. Literatur......................................................27
In der Grafematik[1] gibt es eine lang anhaltende Debatte darüber, welches die „Prinzipien“ der Orthografie, insbesondere der deutschen, sind[2]. Bei der Frage nach den „Prinzipien der Orthografie“ geht es um die Frage, nach welchen sprachlichen Prinzipien schriftliche Sprache organisiert ist. Inwiefern lässt sich also die Schreibung durch den Bezug zu anderen Ebenen der Sprache begründen? Einig ist man sich allein darüber, daß ein wichtiges Prinzip jeder Alfabetschrift das fonografische Prinzip ist. Das heißt, allgemein gesprochen, daß die gesprochene Sprache hier Grundlage für die Schrift ist. Damit ist in der Regel konkret gemeint, daß jedem „Laut“ genau ein „Buchstabe“ zugeordnet wird. Dies Prinzip wird häufig als das Ideal einer Orthografie angesehen (Reformdiskussionen bewegten sich daher auch meist allein in diese Richtung). Da sich grade die deutsche Orthografie nicht allein mit diesem Prinzip beschreiben lässt, sind auch noch eine ganze Reihe weiterer Prinzipien genannt worden, nach denen die deutsche Rechtschreibung „funktioniert“. Als wichtigstes weiteres Prinzip zur Erfassung der Wortschreibung ist das morfologische oder semantische Prinzip zu nennen. Hierbei geht es darum, daß ein Morfem, auch wenn es fonologischen Veränderungen unterliegt, möglichst immer gleich geschrieben wird. Die Semantik ist hier also Grundlage der Schrift. Daß Sprachen mit langer Schrifttradition in der Regel die Tendenz zur Morfologisierung ihrer Orthografie haben, ist in letzter Zeit immer stärker betont worden. Bisweilen wird daher im Deutschen das fonografische dem morfologischen Prinzip sogar untergeordnet[3].
Auch Peter Eisenberg misst grade dem morfologischen Prinzip, neben dem fonografischen, eine zentrale Rolle bei[4]. Doch Eisenbergs „Neuentdeckung“ ist darüberhinaus ein weiteres Prinzip, ohne das sich seiner Meinung nach die deutsche Orthografie nicht adäquat beschreiben lässt: das „silbische Prinzip“. Bei vielen anderen grafematischen Ansätzen ist davon nur im Zusammenhang der Silbentrennung die Rede[5]. Daneben ist aber auch für Utz Maas die Silbenstruktur für die Wortschreibung von zentraler Bedeutung. Eisenberg gibt jedoch dem silbischen Prinzip (v.a. gegenüber dem rein fonografischen) wohl die größte Bedeutung.
In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, die zentrale Rolle, die Eisenberg dem silbischen Prinzip in seinem Konzept zuerkennt, in linguistischer und didaktischer Perspektive näher zu beleuchten.
Das silbische Prinzip ist neben dem fonografischen auch ein fonologisches Prinzip. Nicht nur Fonemen korrespondieren Grafeme, sondern auch den Silben der gesprochenen Sprache werden (im Konzept Eisenbergs) nach bestimmten Regeln „Schreibsilben“ zugeordnet. Vorausgesetzt ist dabei, und das ist gleichzeitig eine weitere Erkenntnis, die sich in der neueren Grafematik immer mehr durchgesetzt hat, eine „autonome Grafematik“, die das Schriftsystem nicht in bloßer Abhängigkeit von der Fonologie sieht, sondern als eigenständig linguistisch zu beschreibendes Subsystem (neben dem der gesprochenen Sprache) einer Sprache begreift. „Schreibsilben“ sind von daher also Einheiten, die sich aus der (unabhängig von der Fonologie ermittelten) typischen Verteilung von Grafemen unterhalb der Wortebene ergeben (Grafotaktik).
Die Überlegungen, die Eisenberg dazu führten, in der Grafematik eine „Schreibsilbe“ als relevante Größe zu postulieren, sind zum einen der Entwicklung in der neueren Fonologie geschuldet[6]. Hier wurde die Sprechsilbe als Domäne verschiedener fonologischer Regeln (z.B. der Auslautverhärtung) und der Erfassung der Fonotaktik „wiederentdeckt“. Es liegt also nahe, wenn man wie Eisenberg eine „autonome Grafematik“ in Analogie zur Fonologie entwickeln möchte, entsprechend der Analogie Fonem/Grafem auch eine Analogie Sprech-/Schreibsilbe anzunehmen.
Zum anderen geht es Eisenberg auch immer um die Relevanz für die Praxis des Umgangs mit geschriebener Sprache. Welche strukturelle Einheit ist neben dem Grafem einerseits und der grafotaktischen Wortform andererseits von Bedeutung für die Kognition (Speicherung im mentalen Lexikon), die Perzeption (Worterkennung: Lesen) und damit nicht zuletzt auch für die Wiedergabe (Rechtschreibung) geschriebener Sprache? Für Eisenberg ist diese Einheit eindeutig die Schreibsilbe. Ist das begründbar, so gewinnt die Silbe als Domäne der Verhältnisbestimmung von gesprochener und geschriebener Sprache auch für die Didaktik des Rechtschreibunterrichts an zentraler Bedeutung.
Nicht zuletzt für die linguistische Beschreibung der Regelhaftigkeit der Schreibung (in Bezug auf die fonologische Ebene) bringt die Silbenebene nach Eisenberg Vorteile: Nimmt man Schreibungen nach dem silbischen Prinzip an, reduzieren sich die Ausnahmen, und bestimmte Fänomene der Wortschreibung lassen sich überhaupt erst unter diesem Gesichtspunkt adäquat erklären und beschreiben.
Geht es Eisenberg zunächst um die systematisch-linguistische Fundierung orthografischer Regeln, so sollten sich aber nach seiner Meinung linguistische Konzepte daran messen lassen, wie „brauchbar“ sie für die Praxis sind[7].
Daher soll im Folgenden ein kurzer Einblick in die neueren Erkenntnisse der Didaktik zum Schriftspracherwerb gegeben werden.
Die grundlegende Einsicht, die sich in der modernen Schriftspracherwerbsforschung durchgesetzt hat, ist die Einsicht, daß Kinder beim Schriftspracherwerb „ihre eigenen Wege gehen“[8]. Sie richten sich nicht einfach nach vorgegebenen Lernschritten und reproduzieren nicht vorgegebene Regeln. Kinder machen ihre eigenen individuellen Erfahrungen mit der Schriftsprache, bilden „Hypothesen“[9] über den Gebrauch der wahrgenommenen Merkmale, kommen so zu internen Regeln, die sie dann im Laufe der Entwicklung durch neue Erfahrungen und weiteren Gebrauch immer wieder revidieren und weiter modifizieren. So „filtern die Kinder, was sie in Modellen ihrer Umwelt wahrnehmen, und re-konstruieren den Gegenstand immer wieder neu auf der Basis wachsender Einsicht in seine bestimmenden Merkmale“[10]. „Kognitive Schemata“ entwickeln sich weiter[11]: Lesen- und Schreibenlernen wird als Denkentwicklung verstanden, die Kinder sind „aktive Konstrukteure ihrer Erfahrung“[12]. Im Unterricht muss es daher darauf ankommen, die „eigenaktiven, intuitiven Regelbildungsprozesse“ der Kinder zu unterstützen[13].
Das heißt auch, das verstärkt von der Regelhaftigkeit der Orthografie ausgegangen wird.
Eine weitere grundlegende Einsicht ist, daß die Aneignung der Rechtschreibung (und des Lesenkönnens) und die Entwicklung der dafür nötigen Strategien in Entwicklungsstufen abläuft. Grob gesagt, folgt der am Wortbild orientierten logografemischen Fase die alfabetische. Nach dieser rein an der Lautung orientierten Fase entwickelt sich unter Berücksichtigung von weiteren Rechtschreibfänomenen und morfologischem Wissen die orthografische Fase. Die Weiterentwicklung wird durch die jeweils aktuell unterschiedlich genutzte (Fasen-) Strategie beim Lesen und Schreiben provoziert.[14] Die linguistischen Prinzipien lernen die Kinder in den jeweiligen Fasen kennen.
In den jeweiligen Entwicklungsstufen „bilden die Kinder also selektiv (durch den aktuellen kognitiven Filter) Regeln und nutzen sie als Muster für die eigenen Lese- und Schreibversuche - mit dem Ergebnis phasenweiser Übergeneralisierung einzelner Prinzipien“. Fehler gehören also dazu, sie sind „notwendige Zwischenformen des Umgangs mit Schrift(sprache)“[15].
Einige alte Streitfragen werden zugunsten integrativer Modelle entpolarisiert. Kinder haben z.B. sowohl die Möglichkeit über einen orthografischen Speicher (Merkmale von Wörtern) als auch über Regeln die Schreibung zu rekonstruieren[16]. Die Merkmale im Speicher (wie die Regeln) können sich auf die verschiedenen Struktureinheiten von Wörtern beziehen (auf Segmente, Silben, Rechtschreibmuster/Buchstabenklaster, Morfeme)[17].
Obwohl die Kategorie der Silbe bislang keine zentrale Rolle spielt, wird sie doch immer mehr als Vermittlungskategorie entdeckt, da sie Kindern als Struktureinheit gesprochener Sprache am unmittelbarsten zugänglich ist.[18]
Seit Anfang der 80er Jahre ist es Eisenbergs Anliegen, eine Grafematik zu entwickeln, die nicht bloßes Anhängsel der Fonologie und Fonetik ist. Die geschriebene Sprache ist nicht Abbild der gesprochenen, sondern hat eine unabhängig zu beschreibende Struktur und Funktion. In seinem Aufsatz von 1985 z.B. verteidigt er einen „phonemunabhängigen“, „autonomen Graphembegriff“[19].
Eisenberg wäre aber falsch verstanden, wenn man ihn so verstünde, als ginge es ihm darum, die Schrift nicht mehr in Beziehung zur gesprochenen Sprache zu sehen. Einen Zusammenhang zwischen grafemischer und fonologischer Ebene will Eisenberg für Alfabetschriften nicht leugnen. Es geht ihm vielmehr darum, das Grafem nicht mithilfe des Fonems zu definieren.[20]
Die Analyse des Schriftsystems erfolgt unabhängig von den fonologischen Erkenntnissen über den Aufbau der gesprochenen Sprache, geschieht aber in „Analogie“ zu ihr, d.h., sie bedient sich der gleichen linguistischen Methodik. Ein Grafem ist z.B. nicht den Buchstaben (-folgen) gleichzusetzen, die einem Fonem entsprechen (z.B. <o>, <oh>, <oo> als Grafeme für /o:/), sondern muss (analog zur Ermittlung der Foneme in der Fonologie) als „kleinste Struktureinheit des graphischen Systems mit bedeutungsunterscheidender Funktion“ definiert werden[21]. In diesem Sinne lässt sich eine „Wortgraphematik“ unabhängig von der Fonologie auf grafemischer, silbisch-grafotaktischer, morfologischer und Wortebene ermitteln[22]. Dann erst ist ein unvoreingenommener Vergleich von Wortgrafematik und -fonologie möglich. Unter Berücksichtigung der kharakteristischen Unterschiede[23] lassen sich dann die Regeln für die Beziehungen beider Systeme erstellen - auf fonografischer, silbischer und morfologischer Ebene.
Es ist Eisenbergs Überzeugung, daß dann die Orthografie des Deutschen sich als weniger inkonsequent heraustellt als häufig vermutet[24].
In seinem Aufsatz „Linguistische Fundierung orthografischer Regeln“ von 1993 versucht Eisenberg nun die Erkenntnisse aus seinen Untersuchungen zur Schreibsilbe im Vergleich zur Sprechsilbe systematisch nutzbar für die konkrete Formulierung orthografischer Regeln zu machen.
Die unabhängig voneinander ermittelten Systeme einer Wortgrafematik und Wortfonologie werden systematisch aufeinander bezogen, und aus den so (auf Wort- bzw. Silben-, sowie morfologischer Ebene) in Beziehung gesetzten Unterschieden ergeben sich die Regeln der deutschen Orthografie. Gemäß den drei Prinzipien lassen sich die Kharakteristika des deutschen Schriftsystems als Zustandekommen von fonografischen, silbischen und morfologischen Schreibungen beschreiben. Die drei Arten von Schreibungen bauen aufeinander auf.
Eisenberg stellt in dem Aufsatz auch heraus, daß es ihm darum geht, ein linguistisches Konzept zu bieten, das es ermöglicht, orthografische Regeln auch für Nicht-Sprachwissenschaftler adäquat zu formulieren. Grade auch für die didaktische Praxis soll sein Ansatz also Bedeutung haben. Eisenberg betont, daß die orthografische und damit auch die didaktische Praxis ohne linguistische Fundierung orthografischer Regeln nicht auskommen kann. Linguistische Konzepte der Grafematik sollten sich allerdings daran messen lassen, welche „Brauchbarkeit“ sie für die Praxis haben.[25]
Eisenberg geht es also um zwei Zielsetzungen:
1) Unter Einbeziehung des silbischen Prinzips ergibt sich eine lin-
guistisch-systematisch überzeugendere Darstellung des deutschen Schriftsystems und seines Verhältnisses zur Fonologie.
2) Diese linguistische Konzeption erweist sich gleichzeitig als
brauchbarer für die Praxis im Vergleich zu anderen Konzeptionen.
Im Folgenden soll geklärt werden, ob ihm dieser Brückenschlag gelingt.
Zunächst diskutiert er drei grafematische Konzepte, die die einzelnen Prinzipien, die in seinem Konzept zusammengeflossen sind, in die Fachdiskussion eingeführt bzw. auf besondere Art und Weise nutzbar gemacht haben.
Da ist zunächst der klassische fonologiebezogene Ansatz von Bierwisch[26]. Bierwischs zentrales Anliegen war die Formulierung von kontextunabhängigen (unmarkierten) und kontextbezogenen (markierten) Grafem-Fonem-Korrespondenz-(GPK-)Regeln in Interaktion mit den fonologischen Regeln des Deutschen.
Eisenberg kritisiert, daß hier Morfologie und Silbenebene noch kaum eine Rolle spielen. Unbrauchbar für die Praxis ist vor allem, daß die Regeln nicht (bzw. nur zum Teil) an der fonetisch-fonologischen Oberfläche ansetzen, sondern beim Orthografielernenden bewusstes Wissen um zugrundeliegende Repräsentationen der Lexikoneinträge und fonologische Regeln voraussetzen.
Von zentraler Bedeutung ist dagegen die Formulierung und Unterscheidung von unmarkierten und markierten GPK-Regeln. Mit der BeSchreibung unmarkierter GPK hat Bierwisch deutlich gemacht, daß das „alfabetische Prinzip“ ein „unbedingtes Desiderat“ jeder Alfabetschrift war und ist. Die Schreibung, die sich durch die unmarkierten Grafemzuordnungen ergibt, ist nicht nur eine „irgendwie fehlerhafte Schreibung“, sondern entspricht dem, was bei schreibenlernenden Kindern als „lautierendes Schreiben“ zu beobachten ist. Das habe didaktische Konsequenzen[27].
H. Günther hat gegenüber Bierwisch nun das morfologische Prinzip ins Zentrum gerückt[28]. Die „Phonemkonstanz“ wird von der „Morphemkonstanz“ begrenzt. Ein Morfem wird auch bei fonologischer Variation gleichgeschrieben. Eisenberg kritisiert, daß hier dem morfologischen Prinzip zu einseitig Gewicht verliehen wird. Zum einen gilt die Morfemkonstanz nicht in jedem Fall (Günther gibt nicht deren Bedingungen an; besser, man spräche vom „Prinzip der 'maximalen morphologischen Ähnlichkeit'“), zum anderen lassen sich etliche Elemente des deutschen Schriftsystems weder fonografisch, noch morfologisch erklären, sondern nur silbisch.
Das Konzept von Prinz & Wiese[29] hat für Eisenberg besondere Bedeutung. Denn es basiert auf der modernen lexikalischen Fonologie, für die die Silbe eine zentrale Rolle spielt. So sind in dem Konzept die silbenstrukturell beschriebenen (morfologisch ggf. komplexen) Wortformen auch die Domäne für die Anwendung der GPK-Regeln. Das ist auch die Grundlage für Eisenbergs silbisches Prinzip: die fonologischen Schreibungen des Deutschen basieren auf der Übersetzung von Sprech- in Schreibsilben (als Bestandteile der Wortformen). Der zentrale Vorteil ist, daß die Silbe eine Kategorie der fonetisch-fonologischen Oberfläche und von daher dem Sprachbenutzer unmittelbar zugänglich ist. Allerdings darf daneben das morfologische Prinzip nicht vergessen werden, weil die Zusammenhänge sich dann weniger kompliziert darstellten[30]. Die syllabifizierte Wortform gilt Eisenberg auch als Domäne von morfo-fonologischen Regeln.
5.2.1. Schreibungen nach dem fonografischen Prinzip[31]
5.2.1.1. Linguistische Beschreibung
Bezieht man eine „hinreichend große“ Datenmenge von grafematischen und fonologischen Wortformen aufeinander, so ergeben sich die „unmarkierten“ Fonem-Grafem- (bzw. Grafem-Fonem-) Entsprechungen, formuliert als kontextfreie GPK-Regeln. Eisenberg nennt die Schreibungen, die sich bei Anwendung dieser Regeln ergeben, „phonographische Schreibungen“. Diese stellen den „'alfabetischen Anteil' des [deutschen Schrift-] Systems“[32] dar und gehören zusammen mit den silbischen Schreibungen zu den fonologischen Schreibungen[33].
Leider fehlt eine vollständige Liste der kontextfreien GPK-Regeln. Aus seinen Beispielen lassen sich aber folgende Besonderheiten erkennen. Jedem Fonem der fonologischen Oberflächenstruktur (postlexikalisch) entspricht ein und nur ein Grafem, bestehend aus einem oder mehreren Segmenten (Buchstaben). Zwei unterschiedlichen Fonemen kann aber das gleiche Grafem zugeordnet sein. Das heißt, daß für Eisenberg eine rein fonografische Schreibung nach den grundlegenden GPK des Deutschen keine Eindeutigkeit zuließe: Lang- und Kurzvokalen („gespannten“ und „ungespannten Vokalen“ nach Eisenbergs vorausgesetzter Fonologie) entspricht jeweils dasselbe Grafem und auch [z] und [s] können nach den gegebenen Beispielen anscheinend nicht unterschieden werden (ein Grafem <s>).[34]
5.2.1.2. Relevanz für die Praxis
Wie oben schon bei der Kommentierung des Bierwischschen Ansatzes angedeutet, sieht Eisenberg die „Brauchbarkeit“ der Formulierung unmarkierter GPK-Regeln darin, daß sie solche Schreibungen erzeugen, die Kinder beim „lautierenden“ Schreiben produzieren. Im Sinne neuerer didaktischer Ansätze hat das die Konsequenz, solche Schreibungen nicht einfach nur als fehlerhaft einzustufen. Es deutet darauf hin, daß die Kinder sich in der alfabetischen Fase ihres Schriftspracherwerbs befinden. Die Kinder haben ein wichtiges Prinzip der Orthografie selbständig entdeckt und wenden es konsequent generalisierend auf die Wortschreibung an. Dabei lernen sie, gesprochene Sprache mithilfe der grafematischen Segmente segmental zu analysieren und deren Segmente nach Merkmalunterschieden zu kategorisieren. Ein scheinbarer Rückschritt ist eigentlich ein Fortschritt: Sich allein am Wortbild zu orientieren[35], kann für die längerfristige Bewältigung der orthografischen Aufgabe nicht genügen; das Begreifen der fonografischen Zusammenhänge ermöglicht den Kindern eine weitere orthografische Strategie auf dem Weg zu einer umfassenderen orthografischen Kompetenz.
5.2.1.3. Kommentar
Eisenberg gibt keine Begründung, wie sich aus einer „hinreichend großen Datenmenge“ die „unmarkierten“ Zuordnungen erstellen lassen. Es lässt sich aber vermuten, daß als Kriterium für die Unmarkiertheit hier anscheinend allein die Häufigkeit des Vorkommens einer Zuordnung gilt. Dieses Verfahren ist zwar oft in der Grafematik Usus[36], doch scheint es mir linguistisch wie auch didaktisch durchaus fragwürdig.
Nur das Grafem bzw. die Grafemkombination kann m.E. als
kontextfreie Zuordnung gelten, die in Positionen im Wort vorkommt, in denen sie
möglichst eindeutig und möglichst unbeeinflusst vom grafotaktischen Kontext
einem Fonem zugeordnet ist.
Daher ist es z.B. sinnvoll davon auszugehen, daß [s] -> <ß> als grundlegend gilt[37]; denn <s> kann nur in bestimmten Kontexten mit [s] korrespondieren[38] (sonst korrespondiert es ja mit [z]). In diesem Sinne wäre es sogar denkbar, [a:] -> <ah> usw. als unmarkiert „anzusetzen“. Zwar kommen die Grafemkombinationen <ah>, <eh> usw. nur in bestimmten Kontexten für [a:], [e:] usw. vor (ebenso übrigens aber auch <a>, <e> usw.!), doch ist dabei wenigstens das Kriterium der Eindeutigkeit gewahrt.
Ausgehend davon, daß Kinder in der „alfabetischen Fase“ durch das lautierende Schreiben (in der Auseinandersetzung mit der eigenen Aussprache) mithilfe der ihnen zur Verfügung gestellten Segmente lernen, das Lautliche strukturell zu erfassen (und zwar segmental in bezug auf die wahrgenommenen Merkmale)[39], scheint es mir problematisch, die Möglichkeiten zu übergehen, die das Schriftsystem zu einer eindeutigen Wiedergabe der Foneme bereitstellt. Wenn Kinder <b> und <p> als unterschiedliche Buchstaben kennenlernen, so lernen sie gleichzeitig und selbstverständlich, den Unterschied zwischen [b] und [p] wahrzunehmen und dieses Wissen dann auch produktiv beim Schreiben anzuwenden. Lernten sie genauso selbstverständlich <s> und <ß> als verschiedene Buchstaben kennen (<s> für [z] und <ß> für [s]), gäbe es später nicht so große Verwirrung bei der Wahrnehmung des Unterschieds zwischen „weichem“ und „scharfem s“. Dadurch provozierte „Fehl-“ Schreibungen sind nartürlich kein Gegenargument, denn diese sind ja typisch für diese Fase (Übergeneralisierungen) und zeigen nur den inneren Regelbildungsprozess, der in späteren Fasen (beim Hinzulernen weiterer orthografischer Strategien) dann auch solche Fehlschreibungen wieder abbaut.
Im Falle von <ah>, <eh> usw. entdecken Kinder häufig selbst diese Zuordnungen als Mittel zur eindeutigen Längenkennzeichnung und wenden sie zunächst „kontextfrei“ an[40]. Daß Kinder also durchaus den Unterschied lang/kurz entdecken können, sollte im Unterricht als Schanx begriffen und für die weitere orthografische Entwicklung genutzt werden.
Es stellt sich auch die Frage, ob sich mithilfe der kontextfreien GPK-Regeln überhaupt immer eindeutige Schreibungen ermitteln lassen, wie das Eisenberg suggeriert. Von einer nicht-linearen, merkmalorientierten Fonologie ausgehend muss gesagt werden, daß fonologische Merkmale in bestimmten Kontexten unspezifiziert bleiben können und eine eindeutige Fonemzuordnung daher nicht möglich bzw. nur bei Berücksichtigung des Kontextes möglich ist. Ein klassisches Beispiel für diese Problematik bietet die fonemische Analyse der Difthonge. Neben Eisenbergs fonografischer Schreibung <oi> sind aufgrund anderer Analysen genauso gut <oü>, <oe>, <oö>, <oj> oder gar <oüi>, <oei> o.Ä. möglich. Bedeutungsunterscheidend für das zweite Segment sind allein die Merkmale [- konsonant] und [+ palatal] bzw. [+ vorn]. Auch hat z.B. das Merkmal [- stimmhaft] bzw. [- gespannt] bei Konsonanten nach Obstruenten und im Silbenauslaut keine bedeutungsunterscheidende Funktion (daher z.B. für [⌠p] -> <schp> oder <schb> möglich). Eindeutige Schreibungen lassen sich also in solchen Fällen also überhaupt erst mit kontextsensitiven Regeln erreichen. Es müsste also zugestanden werden, daß fonografische Schreibungen unterschiedlich ausfallen können40a[41].
Das hat auch didaktische Konsequenzen. Diese Einsicht verhilft dazu, nicht nur lautierendes Schreiben von Kindern nicht einfach als fehlerhaft einzustufen, sondern auch bestimmte lautierende Schreibungen nicht als „richtiger“ als andere einzuschätzen. Die innere Regelbildung der Kinder kann zu unterschiedlichen Hypothesen über den Zusammenhang der wahrgenommenen Merkmale der Lautstruktur und der zur Verfügung stehenden Grafeme (und ihrer Merkmale) führen. Ein Kind, das <schbreche> oder <aema> schreibt, liegt nicht „falscher“ (oder hat gar eine schlechtere Wahrnehmung) als ein Kind, das <schpreche> oder <aimer> schreibt.
5.2.2. Schreibungen nach dem silbischen und morfologischen Prinzip
5.2.2.1. Linguistische Beschreibung
a) Schreibungen nach dem silbischen Prinzip[42]
Als zweite Komponente fonologischer Schreibungen führt Eisenberg die silbischen Schreibungen ein. Das sind Schreibungen, die sich nicht allein via (unmarkierte) GPK-Regeln sondern aufgrund silbenstruktureller Fakten erklären lassen. Eisenbergs Grundidee dabei ist, daß grafotaktische Besonderheiten, die sich in einem Konzept wie dem Bierwischschen (wenn überhaupt) nur über markierte, d.h. vom fonologisch-merkmalorientierten Kontext abhängige Regeln erfassen lassen, linguistisch adäquater über den Zugriff auf den silbenfonologischen Kontext beschreiben lassen. Schreibungen, die rein fonografisch betrachtet markiert wären, können also unter Einbeziehung der Silbenstruktur als fonologisch unmarkiert gelten. Paradebeispiel ist hierbei die Geminatenschreibung[43]. Eine Schreibung wie <welle> kann als unmarkiert gelten, weil sich <ll> nicht einfach auf das Fonem [l] bezieht, sondern auf ein [l], das silbenfonologisch ein Silbengelenk darstellt, d.h., zu beiden Silben des Wortes gehört. Da es ambisilbische Grafeme im Deutschen nicht gibt, wird die doppelte Silbenzugehörigkeit linear durch zwei Grafeme ausgedrückt. Die Schreibsilben <wel> und <le> stellen also die unmarkierte Entsprechung zu den beiden Sprechsilben [vεl-] und [-lë] dar. Die Kontextbedingung „kurzer/ungespannter Vokal“ braucht nicht berücksichtigt werden.
Daneben ist es Eisenbergs Bemühen, auch andere grafotaktische
Besonderheiten, die auch silbenstrukturell nicht unmarkiert sind und sich nicht
völlig ohne Angabe des Fonemkontextes beschreiben lassen, mithilfe des
silbischen Prinzips zu erfassen. Doch auch hier ersetzen die Silbenstrukturbedingungen
immerhin die Berücksichtigung der Vokalquantität bzw. -qualität als
Kontextbedingung.
So wird das sog. Dehnungs-<h>[44]
am Silbenende geschrieben, wenn die Sprechsilbe offen ist (also mit Vokal
endet) und die nächste Silbe mit einem Sonoranten beginnt (z.B.
<neh-men>). Diese Schreibung ist sozusagen doppelt markiert: zum einen
weil sie neben der Silbenstruktur eine Kontextangabe braucht
([+ sonorant]; die offene Silbe erhält in anderen Kontexten kein <h>
am Ende), zum anderen weil auch unter diesen Bedingungen „bekanntlich“ nur „in
etwa der Hälfte der Fälle“ wirklich ein <h> steht.
Zwei weitere Regeln lassen sich wie folgt zusammenfassen[45]:
Gehören zwei aufeinanderfolgende Vokale zu zwei verschiedenen Silben, erhält
die zweite Schreibsilbe ein „silbeninitiales“ <h> (z.B. <ge-hen>);
gehören sie zu einer Silbe, so gilt dies nicht und es gelten für sie z.T.
markierte, kontextsensitive Fonem-Grafem-Entsprechungen (z.B. <heu> statt
<hoi>).
Der Vorteil dieser Beschreibung ist also, daß bestimmte Kontextbedingungen (Eisenberg
geht es hier in erster Linie um die Vokalquantität/-qualität) nicht beachtet
werden brauchen, da sie sich aus der Silbenstruktur ergeben. Die Folge ist
aber, daß eine ganze Reihe von Schreibungen auf der fonologischen Ebene als markierte,
nicht weiter begründbare Silbenschreibungen gelten müssen. Sie können dann nur
mithilfe des morfologischen Prinzips erklärt werden (z.B. <kann> statt
<kan> wegen [kœn-nën] -> <kön-nen>, <kahn> statt
<kan> wegen [kε:-në] -> <käh-ne>, <reh> statt <re>
wegen [re:-ë] -> <re-he>)[46].
Auch „zahlreiche weitere Elemente unseres Schriftsystems“ sind
nach Eisenbergs Meinung auf ähnliche Weise „als silbische Schreibungen zu
erfassen“[47].
Doch wie geht er mit Schreibungen um, die grafotaktisch regelmäßige Besonderheiten
aufweisen, aber nicht silbenstrukturell zu beschreiben sind? Da er „ja das
'rein Alphabetische' zur ersten Schicht der Graphematik machen“[48]
will (fonografisch also nur kontextfreie Zuordnungen zulässt), kontextsensitive
Regeln mit fonologischem Bezug a-ber nur im Zusammenhang mit
Silbenstrukturbedingungen kennt, sind dafür nur rein grafotaktische Regeln
möglich. So ergibt sich beispielsweise die „Reduktionsregel für <g>“[49].
b) Schreibungen nach dem morfologischen Prinzip[50]
Morfologische Schreibungen stehen für Eisenberg in engem Zusammenhang mit den silbisch-fonologischen Schreibungen, da sie auf diese Bezug nehmen. Es sind Schreibungen, die in Bezug auf die fonologische Ebene markiert sind, aber sich durch den Bezug auf die fonologische Struktur von Wortformen mit demselben Stammmorfem erklären lassen. Typisch ist dabei, so Eisenberg, die „doppelte Bezugnahme“ auf die morfologische Struktur der gegebenen Wortform und auf die ausschließlich fonologische Struktur einer morfologisch zugehörigen Wortform, der sogenannten Explizitform (bei dieser handelt es sich häufig um eine zweisilbige Form)[51]. Eine morfologische Regel verweist also nicht einfach auf die abstrakte morfologische Strukturiertheit eines Wortes, um dessen Schreibung zu erklären. Zu jeder morfologischen Schreibung muss es eine Explizitform geben, deren Schreibung sich fonologisch ergibt.
So lässt sich z.B. die „morphologische Geminatenregel“ folgendermaßen formulieren:
„Wenn ein Stamm auf Vokal + Konsonant auslautet und wenn der Konsonant in einer Explizitform Gelenk ist, dann entspricht dem Konsonanten im graphematischen Wort eine Geminate.“[52]
Durch den Bezug auf die silbenfonologischen Informationen wird auch hier wieder der Bezug auf die Vokalquantität bzw. -qualität vermieden. (Allerdings kann Eisenberg hier nicht vollständig darauf verzichten: die Regel ist nur korrekt anwendbar, wenn es sich beim Vokal der morfologischen Bedingung um einen kurzen bzw. ungespannten handelt[53]. Sonst erzeugte sie Schreibungen wie <traff> wegen [trεfën] oder <kamm> wegen [kωmën].)
Auch Schreibungen mit Umlaut und Auslautverhärtung lassen sich mit diesem Regelkonzept erklären[54]. Eisenberg formuliert die morfologische Regeln für die <h>-Schreibungen zwar nicht ausdrücklich, aber auch sie lassen sich in Analogie zur „morfologischen Geminatenregel“ wie folgt im Eisenbergschen Sinne rekonstruieren:
Wenn ein Stamm auf Vokal (auf Vokal + Sonorant) auslautet und dem Vokal in einer Explizitform, wo er am Silbenende steht, ein Vokal (ein Sonorant) am Anfang der nächsten Silbe folgt, dann entspricht dem Vokal im grafematischen Wort ein Vokalgrafem + <h> (z.B. <seht>, <Schuh>; <nahmt>, <Zahl>). (Auch bei der Dehnungs-<h>-Regel gehört die Zusatzinformation dazu, daß in der morfologischen Ausgangsform der Vokal lang bzw. gespannt sein muss. Sonst ergäbe sich <nihmt> wegen [ne:mën].)
Nicht weiter diskutierte Voraussetzung ist für alle morfologischen Regelformulierungen, daß die Strukturbedingungen sich auf die fonologische (und nicht die grafematische) Struktur der Morfeme bzw. der Silben (im Falle der Explizitformen) beziehen.
5.2.2.2. Relevanz für die Praxis
Mit den Grundgedanken für das silbische und das morfologische Prinzip gibt Eisenberg zwei sehr hilfreiche Ansatzpunkte für eine die von Kindern selbstentdeckbaren Lernwege unterstützenden Didaktik:
- Von der Brauchbarkeit seines Ansatzes für die Praxis geht Eisen-
berg zum einen aus, weil er von der Relevanz sowohl der Sprech- wie auch der Schreibsilbe für den Schriftspracherwerb überzeugt ist. Auch unabhängig davon, welche Rechtschreibfänomene nun konkret mit Silbenstrukturbedingungen beschrieben werden können, so wird in der neueren Didaktik immer mehr anerkannt, daß die Silbe neben Morfem und Buchstabenklastern von perzeptueller und kognitiver Relevanz ist. Sie ist eine wichtige Struktureinheit für die Erkennung von Wortstrukturen. Sie kann darüberhinaus für die Methodik des Unterrichts nutzbar gemacht werden, da sie (im Gegensatz zum Morfem) fonetisch-natürlich fundiert und eine sehr konkrete, oberflächennahe Einheit ist. Von daher ist sie den Sprachbenutzern, grade auch den Kindern, eine unmittelbar zugängliche Struktureinheit der Sprache. Syllabische Strukturen (z.B. die Silbenzahl und die Lage der Silbengrenze) sind also transparent (zumindest transparenter als Morfemstrukturen)[55].
Daraus ergibt sich für Eisenberg auch die Relevanz der Schreibsilbe für den Schriftspracherwerb, da Schreib- und Sprechsilbe konkret zugeordnet sind. Da die Silbe eine wichtige Rolle als strukturelle Einheit beim Lesen hat, kommt auch die Schreibsilbe als Entsprechung zur Sprechsilbe in den Blick[56].
Die unmmittelbare Zugänglichkeit der Silbe ermöglicht es, silbisch-rhythmisches Gliedern von Sprache nicht nur beim Lesen-, sondern auch beim Schreibenlernen als Methodik anzuwenden. Bestimmte Rechtschreibfänomene können damit besser angegangen werden. Obwohl es auch in der Didaktik umstritten ist, ob Silbengelenke (ambisyllabische Konsonanten) eine fonetisch-natürliche Realität haben und von daher von Kindern ohne schriftliche Kenntnisse wahrgenommen werden können, scheint vieles dafür zu sprechen, daß der fonologische Unterschied in Wörtern wie <wonne> und <wohne> an der Silbengrenze am deutlichsten wahrnehmbar ist[57]. Untersuchungen haben gezeigt, daß die Fehlerquote für die Geminatenschreibung an der Silbengrenze durch silbisch-rhythmisches Mitsprechen beim Schreiben gesenkt werden kann[58].
- Mit der Explizitform bietet er gleichzeitig eine Kategorie an,
mit der Kindern neben der silbisch-fonologischen Strategie eine Strategie eröffnet wird, die einen einfachen Zugang zu fundiertem, morfologiebezogenem Sprachwissen ermöglicht.
In Praxis Deutsch 124, das von Eisenberg im Sinne der neueren Didaktik mit gestaltet ist[59], ist ein didaktischer Entwurf zum silbeninitialen <h> zu finden, der in seiner Ausrichtung den wichtigen Aspekten des Eisenbergschen Konzepts folgt[60]. Hinney geht es um die „Modellierung von Problemlösungsprozessen und deren bewußte Kontrolle im Rahmen des strategischen Lernens“. „Grundlegende Strategie ist [dabei] das syllabierende Mitsprechen“[61]. Ausgehend von drei Wortgruppen, bei denen jeweils in unterschiedlicher Stellung ein <h> vorkommt, zeigt sie Lösungswege auf, mit denen eine Erklärung für das <h> gefunden werden kann. In allen drei Fällen liegt die Lösung darin, ein zweisilbiges „Schlüsselwort“ zu finden, dessen Struktur durch das syllabierende Mitsprechen deutlich wird und so das <h> sicher gesetzt werden kann[62]. Somit hat Hinney gezeigt, daß Eisenbergs morfologische Regeln durchaus didaktisch adäquat „übersetzbar“ sind.
5.2.2.3. Kommentar
Eisenberg legt also mit seinem Konzept nahe, daß sich das Groh der nicht-fonografische Schreibungen mit silbenstrukturbezogenen Regeln oder mit Regeln beschreiben lässt, die auf morfologisch verwandte Formen mit entsprechenden Silbenstrukturen verweisen. Auf den ersten Blick scheint das recht überzeugend, doch bei genauerem Hinsehen kann der silbenstrukturbezogene Ansatz generell und in Eisenbergs spezieller Version einiges nicht erklären und führt zu Komplikationen im Allgemeinen wie im Detai'.
Schaut man sich die Regeln genauer an, so ist folgende Kritik angebracht:
a)
- Die morfologischen Geminaten- und <h>-Regeln zeigen, wie oben
schon erwähnt, daß Eisenberg hier auch nicht völlig ohne Vokalquantität als Kontextbedingung auskommt.
- Die Geminatenregel ist nicht genau formuliert: Sie betrifft nicht
nur Konsonanten am Stammende, sondern auch Konsonanten, die vor anderen Konsonanten stehen, die das Stammende bilden (z.B. [hım-lı⌠] -> <himmlisch> wegen [hımël]), also insofern alle Konsonanten in der Silbenkoda, die hinter einem Vokal stehen. Auch die rekons-truierten <h>-Regeln gelten nicht unbedingt nur am Stammende: z.B. <ich bohnre> wegen [bo:nän].
- Insgesamt gelten viele Regeln nur im engsten Kernbereich des
deutschen Wortschatzes. Die Beachtung von Rechtschreibfänomenen in „Fremdwörtern“ würde vieles relativieren (vgl. z.B. <oboe>, <hebräisch>, <partie(n)> ohne <h>).
- Nicht immer ist die Silbenstruktur eines Wortes transparent, vor
allem wenn auch die Umgangssprache mit einbezogen wird (z.B [vωln] statt [vωlën]; [ze:n]).
b) Es bleibt uneinsichtig, warum Eisenberg nur bei den silbischen Regeln fonologische Kontextbedingungen (und zwar nicht nur silbenstrukturelle, sondern auch solche mit Bezug auf fonologische Merkmale) zulässt. Dort wo kein Silbenbezug vorhanden ist, sind dann ausnahmsweise rein grafotaktische Regeln möglich. Markierte GPK-Regeln ohne Silbenbezug schließt er anscheinend völlig aus. Linguistisch ist es eine intressante Frage, welche Regeln rein grafotaktisch zu formulieren sind (also mit Bezug der markierten Schreibung auf die unmarkierte, fonografische Schreibung und grafematische Kontextbedingungen) und welche fonologisch (mit Bezug der markierten Schreibung auf die fonologische Form). Eisenbergs Lösung dieser Frage scheint mir jedenfalls nicht ganz überzeugend, da grade eine Regel wie die „Reduktionsregel für <g>“ fonologisch adäquater zu fassen ist: <n> wird nicht nur vor <k> für [ŋ]/<ng> geschrieben, sondern vor allen Grafemen, die ein Fonem bzw. eine Fonemkombination mit den Merkmalen [+ velar, + plosiv] repräsentieren (also auch vor <g>, <x>, <qu>, <c> und <ch>)[63].
Obwohl Eisenberg die „Reduktionsregel für <g>“ unter dem Abschnitt „silbische Schreibungen“ aufführt, ist sie für ihn also offenbar grade keine. Somit wird seine eigene Aussage relativiert, daß man mit den „phonographischen und silbischen Schreibungen [insgesamt das erhält], was man als 'reine Wortgraphematik' bezeichnen kann.“ In der linguistischen Beschreibung der morfologisch unmarkierten Schreibungen kommt man also ohne eine dritte Art von Schreibungen, nämlich Schreibungen nach silbenstrukturunabhängigen, markierten GPK- bzw. grafotaktischen Regeln, nicht aus![64]
Gleichzeitig zeigt sich, daß auch für alle morfologischen Regelformulierungen die nicht weiter diskutierte Voraussetzung ist, daß die Strukturbedingungen sich allein auf die fonologische (und nicht die grafematische) Struktur der Morfeme bzw. der Silben (im Falle der Explizitformen) beziehen. Dabei scheint es mir naheliegender, daß morfologische Regeln auf die grafematische Struktur der Explizitformen Bezug nehmen. <wälder> wird mit <ä> geschrieben, weil es sich auf die Explizitform mit dem Grafem <a> bezieht[65]. So gelten die morfologische Regeln selbstverständlich auch dann, wenn es Explizitformen gibt, deren markierte Schreibung sich nicht fonologisch begründen lässt: z.B. <kneippt> wegen <kneippen>.[66]
c) Setzt man den Maßstab der Brauchbarkeit für die Praxis an, so erscheint die „doppelte Bezugnahme“ der morfologischen Regeln als unnötige Inkonsequenz. Die Regelformulierung setzt voraus, daß der Sprachbenutzer erkennt, wo in der (gesprochenen) Wortform die Morfemgrenze (das Stammende) liegt. Die sonst so gepriesene Zugänglichkeit der Silbenstruktur bleibt hier ungenutzt. Wie oben unter (a) gezeigt, wäre z.B. für die Geminatenregel ein Bezug auf die Silbenstruktur der Ausgangsform leicht machbar und sogar von Vorteil. Linguistisch ist es natürlich sinnvoll, auf die Morfemstruktur Bezug zu nehmen. Dafür wäre dann aber andererseits die Explizitform nicht nötig. Denn unter linguitisch-systematischen Gesichtspunkten würde der Bezug auf die Vokalquantität bzw. -qualität genügen; der Umweg über die Explizitform ist ja nur dem leichteren Zugriff über deren silbenfonologischen Struktur geschuldet.
d) In der Grafematik ist es umstritten, ob die Geminatenschreibung adäquat mithilfe der Silbenstruktur zu begründen ist, oder ob sie nicht doch primär mit der Vokalquantität bzw. -qualität zusammenhängt[67]. Dieselbe Anfrage kann man auch auf die anderen silbisch begründeten Schreibungen beziehen. Ein Kriterium ist dafür die Frage nach der möglichst geringen Anzahl der Ausnahmen, die sich nicht durch fonologisch-grafematische und morfologische Regeln erklären lassen.[68]
Eisenberg kann mit seinem Konzept z.B. die bei Funktionswörtern häufig anzutreffende Schreibung ohne Gemination oder postvokalisches <h> problemlos erklären: Es sind Schreibungen nach dem silbischen Prinzip (z.B. <mit>, <an>, <wo>, <nun>). Da es für sie keine Explizitformen gibt, ergeben sich keine morfologischen Schreibungen. Richtet sich aber die Gemination eines einzelnen Konsonanten nach der Vokalkürze des vorhergehenden, betonten Vokals, so sind diese Schreibungen als Ausnahmen zu werten. Allerdings hat dieses „klassische“ Modell den Vorteil, daß die Schreibung der Mehrzahl der einsilbigen Wörter mit einer Geminate im Auslaut oder postvokalischem <h> rein fonologisch (morfologisch unmarkiert) erklärt werden kann. Nur eine kleine, grammattisch abgrenzbare Zahl von Wörtern gilt dann als markiert[69].
Eisenberg übersieht aber vor allem, daß auch in seinem Modell Ausnahmen
bzw. Schreibungen entstehen, deren Status aufgrund unklarer morfologischer Zusammenhänge
nicht eindeutig ist (z.B. <mumm>, <frettchen>, <dann>,
<plötzlich>, <müll> nur wg. [mYlës]?, <ausgebufft>,
<nimm(t)>, <tritt(st)>, <klipp (und klar)>, <trick>;
<sehr>, <wahn> nur wg. [va:nës]?, <hielt>; <schlohweiß>
u.a.; andererseits <in> trotz [ınën], <tu(n)> trotz [tu:ë]).
Diese markierten Schreibungen ohne morfologische Erklärung durch eine
Explizitform zeigen m.E. ein wichtiges Prinzip, daß Eisenberg in seinem Konzept
übergeht:
Schreibungen, die eigentlich als morfologisch markiert gelten, können, wenn sie häufig auftreten (häufiger als die eigentlich morfologisch nicht markierten), fonologisch-grafematisch analogiebildend wirken.
Geminaten auch am Morfemende zu schreiben, mag z.B. wirklich seinen ursprünglichen Grund im Bezug zum Silbengelenk haben. Doch grade weil diese Schreibung so häufig auftritt (weil in der Tat häufig ein- und zweisilbige Formen miteinander verwandt sind), konnte sie generalisiert und direkt fonologisch an die Vokalquantität gekoppelt werden[70]. Dort wo orthografische Regeln produktiv angewandt werden, kann diese Tendenz aufgezeigt werden: Bei der Integration von Fremdwörtern gibt es Beispiele für Schreibungen, bei denen Geminaten für ursprünglich ein Konsonantengrafem geschrieben werden, obwohl eine Explizitform mit Gelenk fehlt (z.B. <(ohr-) klipp>). Es gibt jedoch kein Beispiel, bei dem eine Schreibung, die eine Geminate mitbringt, diese aufgibt, nur weil eine Explizitform mit Gelenk fehlt (vgl. <trick>, <tablett>). Auch Interjektionen werden meist mit Geminate nach Kurzvokal geschrieben (<piff!>, <hipp!>, häufig <bumm!> statt offiziell <bum!>).
Dieses Analogieprinzip ist ein ganz allgemeines Prinzip jeder Orthografie: Bestimmte grafematische Muster werden mit bestimmten fonologischen Mustern in Verbindung gebracht und als regelhafte Zuordnungen generalisiert (so können sich auch markierte GPK-Regeln etablieren).
Dies ernstzunehmen, ist auch aus didaktischer Perspektive wichtig, weil nur so bestimmte Fehler begreifbar sind. Stellt das Analogiebildungsverfahren doch eine zentrale orthografische Strategie der Kinder dar. Anstelle von <sekt> wird von Kindern gerne <seckt> geschrieben. Die Schreibung <ckt> für [kt] ist (unabhängig von der morfologischen Struktur) einfach häufiger (wenigstens im Wortschatz der Kinder) als <kt>. Bei [nt] wird dagegen wohl häufiger <nt> statt <nnt> geschrieben werden. In vielen anderen Fällen ist diese Strategie sehr hilfreich, da sie (unter bestimmten Bedingungen) den orthografischen Verhältnissen entspricht (z.B. <müll> wie <füll(en)>, <wahn> wie <bahn(en)>, <gespenst> wie <ge#spür>, <schnurstracks> wie <zweck#s>, <obst> wie <lob#st>)[71].
Auch die „Suche nach (silbenfonologischen) Explizitformen“ kann natürlich in vielen Fällen ein sehr hilfreiches Mittel sein (z.B. <wälder> wegen <wald>, <hält> vs. <hellt> wegen <halten>). Es stärkt darüber hinaus das Bewusstsein für morfologische Zusammenhänge und auch silbisch-rhythmisches Gliedern lässt Kinder weitere wichtige Strategien entdecken. Die Strategie über die Explizitform aber didaktisch als einzig adäquate zu werten, wäre verfehlt (schon linguistisch kann sie ja nicht alles erklären).
e) Eisenbergs Argumentation für das silbische Prinzip steht und fällt mit der vorausgesetzten Silbenfonologie: Nur wenn Konsonanten wirklich „Silbengelenk“ sein können und von daher die erste Silbe in Wörtern wie <wonne> und <wohne> als „geschlossene“ und „offene“ Silbe unterschieden werden kann, ist es möglich die Vokalquantität bzw. -qualität als Kontextbedingung außer Acht zu lassen. In der fonologischen Diskussion ist das in der Tat umstritten. Doch ein Konzept wie das von Maas vorgelegte zeigt, daß damit noch nicht das silbische Prinzip mit seiner Relevanz für die Wortschreibung als Ganzes in Frage gestellt sein muss[72]. In solch einem silbenfonologischen Ansatz korrespondiert die Vokalquantität auf besondere Weise mit der Silbenstruktur, so daß die Annahme von Silbengelenken nicht notwendig ist. Allerdings hat die Einbeziehung der Vokalquantität dann Konsequenzen für die Einschätzung, was als unmarkierte Schreibung gilt und damit auch als Explizitform herangezogen werden kann: Einsilbige Formen wie <zahl>, <wohnt> brauchen nicht mehr als morfologisch Schreibungen eingestuft werden. Der Unterschied kurz/lang ist nicht silbisch irrelevant, sondern stellt grade eine unterschiedliche Silbenstruktur dar (in geschlossenen wie in offenen Silben); dies wird in geschlossenen Silben direkt durch die Schreibung mit Dehnungs-h (vor Sonoranten) ausgedrückt. Formen wie <nehmen>, <zahlen> gelten dann als morfologische Schreibungen (weil hier die Dehnungskennzeichnung redundant ist; gekennzeichnet wird zwischen Vokalen ja die Kürze: vgl. <stemmen>) mit den „Stützformen“ <nehmt>, <zahl>. Vom Prinzip her scheint mir das einleuchtender, weil so schon auf fonologischer Ebene eine Eindeutigkeit erreicht wird, ohne daß morfologische Informationen benötigt werden (<kan> als unmarkierte Schreibung für [kan], <kahn> dagegen für [ka:n]). Doch ergeben sich auch hier eine Reihe von Schreibungen, deren Status schwer zu entscheiden ist, weil sich eine Stützform nicht einfach finden lässt (z.B. <bohne> - nur: <böhnchen>, <bohnern> - <ich bohnre>, <ähre>?).
Die unterschiedliche Einschätzung Eisenbergs und Maas', was als fonologische und was als morfologische Schreibung gilt, zeigt noch einmal, daß die Dehnungs-h-Schreibung ein schönes Beispiel dafür ist, daß es auch GPK-Regeln gibt, deren Vorkommen sich nicht silbenstrukturell begründen, sondern nur distributionell beschreiben lässt[73]. Sowohl in zwei- als auch in einsilbigen Wörtern kommt <h> häufig vor, unabhängig davon ob es eine Explizitform gibt oder nicht. Immerhin liefert Maas' Ansatz den Hinweis, daß das Dehnungs-<h> eine (leicht begreifbare!) Funktion haben kann: nämlich die Länge des Stammvokals in bestimmten zweideutigen Formen eindeutig zu machen.
f) Auch im Hinneyschen Praxisentwurf spiegeln sich die Schwachpunkte des Eisenbergschen Konzepts wider. Das gestellte Problem, ob es eine Erklärung für das <h> gibt[74], wird im Grunde nicht gelöst. Denn auch die Schlüsselwörter bieten keine unmittelbar zugängliche Erklärung für das <h>, da es hierbei grade nicht, wie Hinney selber betont[75], darum gehen kann, das <h> in dieser Form zu hören (im Gegensatz zur Geminatenschreibung, wo dies grade der entscheidende Punkt wäre [-> Silbengelenk]). Es kann also nur darum gehen, zu lernen, daß in den Schlüsselwortformen im Gegensatz zu den Ausgangswortformen regelmäßig ein nicht-hörbares <h> steht. Diese Hilfe ist aber nur bei den Wortgruppen des „2.“ (z.B. <geht>) und „3. Weges“ (z.B. <frühstück>) effektiv. In Bezug auf den grundlegenden Fall des „1. Weges“ werden gewitzte Schüler'innen vielleicht selbst darauf kommen, daß hier der ganze Aufwand kaum lohnt, weil in den einsilbigen, auf Vokal endenden Ausgangswörtern das <h> ähnlich regelmäßig steht. Darüberhinaus ist die Frage, ob auch bei Wörtern des „2. Weges“ der Weg über das Schlüsselwort didaktisch nötig ist. Einen intressanten Hinweis bietet dafür ein zweiter Unterrichtsentwurf in dem Heft: Hier wird vorgeschlagen, daß <t> am Ende von Verben als „Signal“ aufzubauen[76]. Das kann dazu beitragen, nicht bei jeder Verbform erneut nach der Explizitform suchen zu müssen (so wichtig das als gelegentliche Übung sein kann, um Schreibungen wie <räht> zu vermeiden), sondern die Schreibung analog zu bilden.
Die Untersuchung hat gezeigt, daß Eisenbergs Versuch eines Brückenschlags zwischen linguistischer Fundiertheit und Brauchbarkeit für die Praxis nur zum Teil gelingt. Sein Konzept hat Nachteile und Vorteile. Die Nachteile liegen vor allem im Bereich der linguistischen Beschreibung. Fragwürdig bleibt, ob mit dem silbischen Prinzip und der Beschränkung des morfologischen Prinzips auf den Verweis auf (silben-) fonologische Explizitformen alle markierten Schreibungen erfassbar und linguistisch adäquat beschreibbar sind. Rein grafotaktische Regeln kommen nur am Rande vor, markierte GPK-Regeln ohne Silbenbezug (und damit der regelmäßige Bezug zwischen Fonem- und Grafem-Klastern) schließt Eisenberg ganz aus. Eine ausgearbeitete grafematische Morfologie kommt nicht vor, weil auch die Regeln einer fonologischen Morfologie kaum eine Rolle spielen. Neben linguistischen Überlegungen ist dies bei Eisenberg vor allem der „Brauchbarkeit“ für die Praxis geschuldet. Silbenstruktur und Explizitformen sind für den Laien unmittelbar-fonetisch bzw. kognitiv leicht zugängliche Kategorien. Doch die Frage ist, ob dieser Gesichtspunkt unkritisch von vornherein die Grundlage und Grenzen für die linguistische Analyse bilden sollte. Die Beschreibung der Komplexität des deutschen Schriftsystems wird vorschnell einer vermeintlichen Einfachheit der Darstellung (die dann etliches einfach nicht wahrnimmt) geopfert. Die Umsetzung linguistischen Wissens für die Praxis sollte immer erst der zweite Schritt nach der wissenschaftlichen Analyse sein. Dieser Grundsatz sollte nicht nur für eine „autonome Grafematik“ gelten[77], sondern auch für den Bereich der Beziehung zwischen Laut- und Schriftsystem (und damit auch für die Beschreibung orthografischer Regeln) gelten.
Die Vorteile des Eisenbergschen Konzepts liegen nun in der Tat in der Relevanz für die Praxis, insbesondere für den Rechtschreibunterricht. Die leichte Zugänglichkeit der linguistischen Kategorien der Silbe und der Explizitform können dazu beitragen, die Kinder die Systematik und Regularitäten des Schriftsystems über einfache Laut-Buchstaben-Beziehungen hinaus selbst entdecken zu lassen. Dort wo silbenfonologische Besonderheiten (z.B. an der Silbengrenze), die grafematische Fänomene erklärbar machen, wahrnehmbar sind, ist der praktische Nutzen für das „recht Schreiben“ unmittelbar evident. Aber vor allem dort wo keine hörbaren silbenfonologischen Besonderheiten vorliegen, z.B. beim silbeninitialen <h>, ist zu fragen, ob der Weg über die Silbenstruktur und die Explizitform immer der adäquate Weg sein muss (schon weil der einzig unmittelbar bleibende Nutzen, die Reduzierung von Ausnahmen aus linguistisch-distributionellen Gründen, häufig nur schwach begründet ist). Natürlich kann der Umgang mit den Explizitformen immer grundsätzlich dazu beitragen, den Kindern auch morfologische Strategien zu eröffnen. Doch bleibt die Frage, ob das als der Lösungsweg für orthografische Probleme auch dort sinnvoll ist, wo eine einfachere Bezugnahme auf nicht-silbische und nicht-morfologische Gegebenheiten Analogieschreibungen ermöglicht (z.B. unter Einbeziehung von markierten GPK-Regeln und der Berücksichtigung von Buchstabenklastern als weitere Struktureinheit zwischen Grafem- und Wortebene neben den Silben).
Grade aus den Einsichten der neueren Didaktik heraus, daß Kinder im Laufe der Entwicklung und individuell ganz unterschiedliche Hypothesen, Regeln und Strategien eigenständig entwickeln, wäre es fatal nur ein Konzept als das Erklärungsmuster für die orthografischen Fänomene zuzulassen und zu unterrichten. Es ist wichtig, daß Lehrer'innen einen Einblick in die Vielfalt der Beschreibbarkeit der Orthografie haben, um einerseits deren innewohnenden Vielfalt an Regularitäten und andererseits der Vielfalt der Regelbildungsprozesse der Kinder gerecht zu werden und darauf eingehen zu können.
Eisenbergs Konzept vom silbischen Prinzip kann also als ein intressanter Weg gewertet werden, linguistisch Aspekte wie die Silbenstruktur mit einzubeziehen und didaktisch über leicht zugängliche Kategorien bestimmte Regelbildungsprozesse zu unterstützen und so einen Umgang mit einem fundierteren Sprachwissen zu ermöglichen. Es kann aber nicht den Anspruch erheben, eine in sich annähernd umfassende und vollständige Beschreibung des deutschen Schriftsystems und der orthografischen Regeln zu liefern.
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[1] Die
Arbeit ist nach den neuen Rechtschreibregeln verfasst, jedoch mit einer konsequenteren
Handhabung der Regeln: Da die Schreibung <f> für <ph> schon jetzt
vielfach möglich ist, schreibe ich <f(f)> in allen Fällen. Fremdwörter
werden generell (mind.) soweit eingedeutscht geschrieben, daß sie möglichst
eindeutig lesbar sind (gemäß den grafotaktischen Möglichkeiten des Deutschen,
z.B. <klaster> für <cluster>). Doppelte Konsonantengrafeme werden
(nicht nur im Falle <ss>) konsequent dort gesetzt, wo sie der Regel nach
stehen müssen (z.B. <Grammattik>). Wie schon jetzt sind davon aber
die einsilbigen Funktionswörter und Affixe in der Regel ausgenommen (vgl.
<mit, um, in, ob, un->), deshalb weiterhin <daß, miß->. Ein nicht
gesprochenes <e> entfällt, z.B. <grade>. <ck> trenne ich
selbstverständlich <c-k> (vgl. auch <d-t, t-z, c-qu, k-qu, c-c,
c-ch>), dagegen trenne ich <ng> nicht (vgl. <sch, ch, th>).
[2] Vgl. z.B. die Übersicht in Nerius 1989, 77f; Naumann 1990 und die dort angegebene Literatur.
[3] Vgl. unten zu H. Günther in 5.1.
[4] Vgl. Eisenberg 1988a, 139: Die Morfologisierung der Schrift nimmt im Deutschen seit dem Frühneuhochdeutschen zu.
[5] Vgl. z.B. Nerius 1989, 101ff.
[6] Vgl. z.B. Eisenberg e.a. 1992.
[7] Vgl. Eisenberg 1993, 69.
[8] Vgl. Balhorn, in: Balhorn 1995, 9.
[9] Vgl. Menzel 1985, 26f.
[10] Schneider/Brügelmann, in: Balhorn 1995, 19.
[11] Vgl. Dehn, Mechthild, in: ders., 206f.
[12] Vgl. Schneider/Brügelmann, in: ders., 14 und 19.
[13] Vgl. Balhorn, in: ders., 9.
[14] Vgl. das Modell von Günther, K.B., in: ders., 98-121.
[15] Beide Zitate: Schneider/Brügelmann, in: ders., 19.
[16] Vgl. ebd., 17, und Scheerer-Neumann, ebd., 240f.
[17] Vgl. ebd., 238f.
[18] Weiteres vgl. unten zu 5.2.2.2.
[19] Vgl. Eisenberg 1985, 122.
[20] Vgl. ebd., 122f.
[21] Die Erstellung des Grafeminventars (vgl. Eisenberg 1989, 60, und ders. 1988a) bringt im Einzelnen einige Probleme mit sich. Eisenberg geht ganz in Analogie zur Fonologie vor, wenn er aus distributionellen Gründen auch Buchstabenkombinationen monografemisch wertet (Digrafe: <ch, pf, qu, ie>, Trigraf: <sch>). Es ist aber durchaus die Frage, ob das bei der Schrift Sinn macht, da hier die Segmentiertheit anders als beim Gesprochenen schon quasi natürlich vorgegeben ist (vgl. dazu im Einzelnen Kohrt). Es ist auch unklar, warum er nicht auch <st> als ein Grafem wertet, verhält es sich doch zumindest nach alter Orthografie genau wie <sch>: <schreiten> - <streiten>, <la-sten> - <la-schen>. Der Allografbegriff ist nur dann autonom, wenn er allein mit grafischer Ähnlichkeit und morfologisch begründeter Beziehung auskommt. Ebenso problematisch scheint mir die sehr enge Analogie bei der Beschreibung des grafotaktischen Aufbaus der Schreibsilbe („Schwere“) zur Fonologie („Sonorität“) (vgl. ders. 1989, 60ff, und ders. 1990, 36-47): Macht diese Kategorisierung ohne Bezug zur Fonologie wirklich Sinn?
[22] Die „Autonomie“ dieses Ansatzes bezieht sich auf eine objektive Beschreibung des Geschriebenen, unabhängig und getrennt von der linguistischen, historischen oder didaktischen Erklärung des Beobachteten (vgl. Eisenberg 1988, 27 und 32).
[23] Zum Beispiel zeigt sich, daß es (nach Eisenbergs vorausgesetzter Fonologie) ambisyllabische Silbengelenke im Gesprochenen gibt, im Geschriebenen an deren Stelle zwei gleiche Konsonanten stehen, die jeweils zu einer Silbe gehören.
[24] Dieser kritisierte Eindruck ergibt sich nur bei einer rein fonografischen Auffassung von Schrift, die von einem Ideal der 1:1-Entsprechung im Fonem-Grafem-Verhältnis ausgeht, also meint, daß „in einem idealen alphabetischen Schriftsystem [...] Phoneme und Buchstaben eindeutig aufeinander abbildbar“ (Eisenberg 1989a, 58) sind.
[25] Vgl. Eisenberg 1993, 67-69 und 72f. Im Folgenden werde ich wie Eisenberg [] für Foneme verwenden (statt //).
[26] Vgl. ebd., 73-75.
[27] Vgl. ebd., 74f. Vgl. auch unten.
[28] Vgl. ebd., 76.
[29] Vgl. ebd., 77-79.
[30] Vgl. auch unten zur Diskussion um die Gemination.
[31] Vgl. zum Folgenden ebd., 81f.
[32] Vgl. ebd., 81, und oben zur Auseinandersetzung mit Bierwischs Ansatz.
[33] Vgl. ebd., 87.
[34] In der Konsequenz heißt das übrigens auch, daß hier bei den kontextunabhängigen fonografischen Schreibungen auch die Zuordnungen [ks] -> <x> und [kv] -> <qu> noch nicht ihren Platz haben, da die Foneme [k], [s] und [v] ja kontextfrei schon anders repräsentiert werden. Nach Eisenbergs vorausgesetzter Fonologie ist das dagegen für [ts] -> <z> möglich, da [ts] als ein Fonem gilt (vgl. z.B. Eisenberg 1989, 74). Diese Voraussetzung widerspricht Eisenbergs Anliegen, rein oberflächengrammattisch die Regeln zu fassen. Dem Laien kann das Wissen nicht abverlangt werden, daß [ts] aufgrund fonotaktischer Überlegungen monofonematisch zu werten ist, und er wird [ts] als zwei Laute wahrnehmen. In Bezug auf die ß/s-Schreibungen sei aber angemerkt, daß Eisenberg an früherer Stelle auch ein Grafem <ß> kennt (vgl. ebd., 60, unklar bleibt, ob er es nicht doch bloß als Allograf auffasst).
[35] Das entspricht der vorausgehenden logografemischen Entwicklungsfase: Bei der geringen Zahl der zu schreibenden Wörter und ihrer geringen Komplexität können mithilfe einer reinen Wortbildmerkmale-speicher-und-abruf-Strategie noch ganz passable Ergebnisse erzielt werden.
[36] Vgl. z.B. eine Tabelle wie die bei Thomé 1989, 31, oder ders. 1992, 221. Würde bei einer anderen Zählung etwa <s> ein wenig häufiger für [⌠] vor [p] und [t] stehen, so müsste dann <s> anstelle von <sch> als die unmarkierte Schreibung für [⌠] gelten, obwohl diese eindeutig auf einen engen Kontext beschränkt ist. Vgl. auch die „grundlegenden Laut-Buchstaben-Zuordnungen“ der neuen amtlichen Rechtschreibregelung.
[37] Ähnlich sieht das, soweit ich sehe, nur noch Maas. Vgl. Maas 1994, 164-166.
[38] Nur vor Konsonanten, nach Obstruenten und im Silbenauslaut.
[39] Vgl. Dehn, M., in: Balhorn 1995, 207: Auch geübte Schreiber orientieren sich beim Hören an dem, was sie von der Schreibung her wissen (vgl. Kohrt 1987, 299).
[40] Vgl. Menzel 1985, 10.
40a[41] V.a. bei Einbeziehung von Umgangs- und Dialektlautung (vgl. z.B. Maas 1989, 220f; Naumann 1989, 123-136). Hier wird die Relevanz von Buchstabenklastern deutlich (z.B. <mpf>, <nst>, <mt> als unmarkierte Schreibung für [m(p)f], [n(t)st], [m(p)t]).
[42] Vgl. zum Folgenden Eisenberg 1993, 82-87.
[43] Vgl. ebd., 82f.
[44] Vgl. ebd., 85.
[45] Vgl. ebd., 85f.
[46] Vgl. unten zu den morfologischen Schreibungen.
[47] Vgl. ebd., 86f.
[48] Ebd., 84.
[49] Vgl. ebd. Auch eine markierte GPK-Regel wie [kv] -> <qu> müsste er dann rein grafematisch formulieren: <kw> -> <qu>.
[50] Vgl. zum Folgenden ebd., 87-91.
[51] Vgl. ebd., 87.
[52] Ebd., 87f.
[53] Vgl. ebd., 88.
[54] Vgl. ebd., 90. Beim Folgenden steht die Regel fürs Dehnungs-<h> in Klammern.
[55] Vgl. zum Vorausgehenden Eisenberg 1990, 58.
[56] Diese Ausführungen Eisenbergs scheinen mir aber seinen autonomen Grafematikansatz in Frage zu stellen. Kann nicht letztlich doch nur über eben diese Bezogenheit von Sprech- und Schreibsilbe die Silbe als grafematische Einheit begründet werden?! (Das schließt natürlich nicht ihre autonome Beschreibbarkeit aus.)
[57] Maas z.B. widerspricht der Theorie von den Silbengelenken strikt (vgl. Maas 1994, 160f; Maas 1989, 281ff). Er spricht von (durch den Folgekonsonanten) „gebremsten Vokalen“ (vgl. ebd., 234f und 284). Tritt dieses Fänomen an der Silbengrenze auf, so zeigt sich auch bei ihm, wenn er es auf allgemeine Silbestrukturen bezieht, daß es sich um ein silbengrenzüberschreitendes Fänomen handelt. Kurze, offene Silben (mit „gebremsten“ Vokal) kommen nur vor der Grenze zu einer mit einem Konsonanten beginnenden Silbe vor. Geminatenschreibung findet so auch bei Maas ihre Begründung in einer Wortstruktur mit Silbengrenze.
[58] Vgl. Tacke 1992.
[59] Vgl. Eisenberg 1994, z.B. 22: „Schreibregularitäten werden somit im Unterricht von den Kindern selbst als solche entdeckt [...]“.
[60] Vgl. Hinney 1994.
[61] Beide Zitate: ebd., 47.
[62] Vgl. ebd., 31-46.
[63] Eisenbergs Formulierung lässt sich durchaus rechtfertigen (und auf Wörter des nicht-nativen Wortschatzes ausdehnen), wenn die Kontextbedingung sich auf die unmarkierte fonografische Schreibung bezieht (zu ergänzen wäre nur <g>). Doch dann stellt sich umso deutlicher die Frage, warum die silbischen Schreibungen sich nicht auch auf die unmarkierten fonografisch-schreibsilbischen Schreibungen beziehen (das wäre genauso gut machbar!).
[64] Daß das Eisenberg nur am Rande wahrnimmt, ist umso erstaunlicher, als er doch von einer „autonomen Grafematik“ herkommt (vgl. oben). Umgekehrt ist also auch zu fragen, ob nicht vieles was er bei den silbischen Regeln als rein fonologische Kontextbedingungen anführt, nicht adäquater grafotaktisch beschrieben werden müsste. Oft kommt es auch auf die Interaktion von fonologischen und grafematischen Bedingungen an: Die Kontextbedingungen z.B. fürs Dehnungs-h müssen m.E. z.T. auch grafematisch erfasst werden, v.a. wenn noch genauer nach den Konsonantengrafemen im Silbenanfang differenziert würde: <h> steht in der Regel nach Vokalen (vor <l>, <m>, <n>, <r> der Folgesilbe>, wenn die Silbe nur mit einem (oder keinem) Konsonantengrafem beginnt (inkl. <pf>; sowie nach <st>, <str>, <dr>, <pr>). Ausgenommen sind „h-haltige“ Grafeme (<sch>, <ch>, <th>,...), sowie <t>, <p> und <qu>.
[65] Dafür spricht auch, daß die Umlautschreibung auch bei der grafematischen Fremdwortintgration verwendet wird (<ä> wegen <a>, <ai> o.Ä., z.B. <kräcker> wegen <cracker>; <ästhetik> zu lateinisch <ae-> bzw. griech. <ai->), ohne daß es hier ein fonologische Form mit [a] geben muss.
[66] Wenn man bedenkt, daß Eisenberg eigentlich von einem autonomen Grafemkonzept herkommt, bleibt es besonders merkwürdig, daß die korrekte Schreibung von Wortformen von einer morfologisch verwandten fonologischen Form begründet wird. Es gibt keinen Platz für eine fonemunabhängige grafematische Morfologie. Die gleiche Gestalt von Morfemen in unterschiedlichen Wortformen bzw. die Ähnlichkeit von Allomorfen ergibt sich allein über den Umweg der Fonologie, nicht aufgrund von grafematischen Regeln einer grafematischen Morfologie. (Eine solche zu entwickeln, war eigentlich ein wichtiges Anliegen Eisenbergs, vgl. Eisenberg 1989, 82).
[67] Vgl. ders. 1993, 78f, dazu die Diskussion bei Augst 1991 und Eisenberg 1991.
[68] Eisenberg beansprucht für sein Modell ausdrücklich, daß es dies erfüllt (vgl. Eisenberg 1991, 344.
[69] Und zwar auch nicht als ungeregelte Ausnahmen, sondern durch markierte GPK-Regeln unter grammattisch-semantischen Kontextbedingungen markiert: z.B. keine Gemination im Auslaut von „Synsemantika“ (Augst 1991).
[70] Die Häufigkeit als Kriterium der Unmarkiertheit, das Eisenberg bei den unmarkierten GPK-Regeln allein zuließ (vgl. oben), spielt hier bei den markierten GPK-Regeln mit Silben- und morfologischem Bezug plötzlich keine große Rolle mehr.
[71] So wird auch eine Schreibung wie <leib> nicht deswegen unproblematisch sein, weil die Beziehung zu <leiber> deutlich ist, sondern weil <b> einfach häufiger als <p> im Auslaut von Morfemen/Wörtern für [p] geschrieben wird.
[72] Vgl. oben, Anm. 56; vgl. zum Folgenden Maas 1994, 157ff; Maas 1989, 300f.
[73] Vgl. oben, Anm. 63.
[74] Vgl. Hinney 1994, 32.
[75] Vgl. ebd., 34.
[76] Vgl. Broders 1994, 54f.
[77] Vgl. oben, Anm. 22.