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Mildenberger-Verlag: ABC der Tiere 1 – Lesen in Silben |
Der Mildenberger-Verlag hat sich mit seinem "ABC der Tiere" (Autor und Hrsg. Klaus Kuhn) ganz dem Silben-Konzept in der Lese- und Rechtschreibdidaktik verschrieben. Das ist grundsätzlich sehr positiv, vermisst man doch sonst oft einen silbenbasierten Zugang. | ++ | |
Ein silbenbasierter Zugang ist allerdings nur dann sinnvoll und wissenschaftlich auf dem neuesten Stand, wenn er den silbischen Aufbau des Deutschen nicht als monotone Aneinanderreihung gleichgewichtiger Silben auffasst ("Pilot-" oder "Robotersprache"), bedingt auch durch die Gleichstellung von Schreib- und Sprechsilben (so wie das oft bei früheren silbenorientierten Zugängen der Fall war), sondern wenn er im Zusammenspiel mit den anderen linguistischen Ebenen, nicht zuletzt auch der Intonation des Deutschen, gesehen wird und deren didaktische Umsetzung im "silbenanalytischen Ansatz" (nach C. Röber, U. Bredel u.a.) beachtet. D.h. u.a., dass er das Zusammenspiel von betonter und unbetonter (insbesondere der Reduktions-) Silbe im Trochäus ernstnimmt, so wie es dann auch im "Häuschenmodell" umgesetzt werden kann. Beim "ABC der Tiere" ist diesbezüglich eine Entwicklung zu beobachten: Zunehmend wird der moderne Silbenzugang beachtet, man versucht, den zunächst rein "pragmatischen" Silbenzugang (Selbstaussage von Klaus Kuhn im Video "Wie Klaus Kuhn zur analytischen Silbenmethode kam") silbenanalytisch zu fundieren. Das "Häuschenmodell" wird nun ausdrücklich verwendet und mit ihm einige Schreibsystematiken im Ansatz ähnlich wie bei Röber und Bredel erklärt (z.B. doppelte Konsonantendarstellung, stummes h). |
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Umso bedauerlicher ist es, wenn dann trotzdem Ungereimtheiten zu beobachten sind: - Die farbliche Markierung der Silben wird stur abwechselnd vorgenommen. Die Betonungsverhältnisse und die trochäische Struktur (die ja auch fürs "Häuschenmodell" ausschlaggebend sind) werden dabei ignoriert. D.h., Krümel und Kamel scheinen so denselben Aufbau zu haben. - Die markierten Silben orientieren sich strikt an den Regeln zur grafischen Worttrennung (einzige zu beobachtende Ausnahme: die Eigenständigkeit von Silben, die nur mit einem Vokalbuchstaben geschrieben werden). D.h., E-cke scheint so einen anderen Aufbau zu haben als El-le, Klin-ger (was soll ein Leseanfänger mit dieser Silbenaufteilung anfangen??) einen anderen als Mi-scher. D.h. auch, dass damit in bestimmten Fällen eine Aussprache verbunden sein muss, die über eine an der Grammatik orientierten Aussprache ("Explizitaussprache") hinausgeht und eher an eine "Pilot-" oder "Robotersprache" erinnert, die eigentlich vom silbenanalytischen Ansatz her kritisiert wird: z.B. Bas-ti-an, In-di-en, Cha-mä-le-on (mit Knacklaut vor dem Vokal am Silbenbeginn ...). [Zumindest die Wörter mit i kennt auch die Norm in Aussprachewörterbüchern nur mit unsilbischen i, also zweisilbig!] Gerade bei Konsonantenhäufungen an der Silbengrenze widerspricht die grafische Worttrennung den Sprechsilben oder sie ist zumindest uneindeutig (Sprechsilben: dam-pfen, Pei-tsche, Er-bse/Erb-se, kle-brig, A-dler, ...). Diese Fragen werden, soweit ich sehe, noch nicht einmal thematisiert. - "Wir achten darauf, dass beim Lesen die Silben deutlich artikuliert werden (Pilotsprache)." (Selbstaussage, s. dort unter "Phase 4") Diese Aussage widerspricht eigentlich den Aussagen des silbenanalytischen Konzepts aus linguistischer Sicht (vgl. oben), selbst wenn hier "Pilotsprache" abgegrenzt wird von einem "zögernden 'Dehnsprechen'", das die Aussprache kurzer Vokale in geschlossenen Silben längt (vgl. ebd., unter "Phase 3"). Nun ist eine "deutliche Artikulation" im Prinzip nicht schlecht - nur darf das nicht zu einer Aussprache führen, mit der Kinder erst etwas anfangen können, wenn sie bereits gelernt haben, wie etwas geschrieben wird: Wenn Reduktionssilben mit Schwa als Vollvokalsilben gelesen werden, so erschwert das nicht nur das Erkennen eines Wortes, sondern trägt auch nicht zum Erkennen der besonderen Funktion des Buchstabens e in diesen Silben bei (was eigentlich ein Herzstück der Silbenanalytischen Methode ist). Das Häuschenmodell und die deutliche Orientierung an den Betonungsverhältnissen hilft ja gerade, auch die Verschriftungen systematisch zu verstehen, die nicht (als Segmente) hörbar sind (z.B. das stumme silbeninitiale h in ge-hen, das stumme f vor dem gesprochenen f in Kof-fer, das in der Regel stumme e in Apfel, schlafen usw.). Es wird nicht deutlich gesagt, was alles zur "Pilotsprache" dazugezählt wird. Und wie sieht das silbische Lesen mit Pilotsprache z.B. bei Wörtern wie "klebrig" aus, die ja bei Mildenberger orthografisch ("kleb-rig") und nicht lautlich ("kle-brig") silbisch gegliedert werden? Tatsächlich mit einem stimmhaften [b] am Silbenende? Das ist wohl kaum machbar und nicht sinnvoll! - Es werden immer wieder Wörter für den Anfangsunterricht benutzt, deren Aufbau dem grundlegenden Silbenaufbau widersprechen (ohne sie als Ausnahmen zu behandeln oder zu benennen): z.B. Mama (statt "Mamma/Mammer"), Mimi (gesprochen doch wohl "Mimmi"), Kakadu (statt "Kakkadu"), Dromedar (statt "Drommeda(r)"), Ananas (statt "Annanas") u.v.m. Auch das geschlossene i wird nicht, was der grundlegenden Schreibung entspräche, als <ie> eingeführt; stattdessen werden Ausnahmeschreibungen wie Tiger (statt "Tieger") und Silben wie Mi (statt Mie) als Normalfall behandelt. - Die grundsätzliche Problematik der Vermischung der Ebenen von geschriebener und gesprochener Sprache wird auch am Umgang mit Gebärden deutlich. Unklar bleibt: Handelt es sich um Laut- oder Buchstabengebärden? Einerseits scheinen es Lautgebärden zu sein, andererseits wird z.B. dieselbe Gebärde für das e eingesetzt, das nun ganz und gar nicht mit breitem Mund gesprochen wird, ja eigentlich nur die Funktion hat, die Unbetontheit einer Silbe zu markieren (z.B. in fauchen). (Vgl. dazu auch C. Röbers Kritik an der Rezeption des Silbenansatzes beim Mildenberger-Verlag und bei anderen Lehrgängen.) |
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